in ihren Tanzschuhen überragte. Obwohl er ein relativ legeres
Hemd anhatte, konnte sie dennoch erkennen, dass er muskulös
war. Seine Unterarme, die unter den aufgerollten Hemdsärmeln zu
sehen waren, waren stark und solide und seine Schulter fühlte sich
unter ihren Händen hart an. Er war ein wunderbarer Tänzer. Das
war gut für Libby, denn sie war keine gute Tänzerin und die Ver-
bindung zweier schlechter Tänzer kann katastrophale Folgen
haben. Sie tanzten zwei, drei Lieder lang, und er hielt sie so eng an
sich gezogen, dass sie die ganze Zeit sein Rasierwasser riechen
konnte.
»Möchtest du einen Spaziergang mit mir machen? Mia
Bellezza?« Er musste sich herunterbeugen, um direkt in ihr Ohr zu
sprechen, denn die Musik war auf der Tanzfläche viel lauter. Heißer
Atem kitzelte ihren Nacken.
Libby versteifte sich. Er konnte offensichtlich das Unbehagen
in ihrem Gesichtsausdruck erkennen, denn er fügte hinzu: »Hier
drinnen ist es zu warm und wir können nicht reden. Die Straße ist
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hell beleuchtet und belebt. Ich werde nichts tun, wodurch du dich
unbehaglich fühlen könntest.«
Der Märchenprinz war also auch höflich, dachte sie und er-
laubte ihm, sie nach draußen zu führen.
»Wie hast du mich genannt?«, fragte Libby, als die Ruhe der
Straße eine Unterhaltung zuließ.
»Mia Bellezza.«
Libby dachte für einen Moment nach. »Meine Schöne?«
»Das hört sich im Italienischen besser an, aber ja. Und du bist
sehr schön.« Er lachte sie jetzt breit an und bedeckte die Finger, die
sie unter seinen Arm geschoben hatte, mit seiner freien Hand.
Nicht weit entfernt vom Eingang des Nachtlokals setzten sie sich
auf eine Bank unter einer Straßenlaterne.
»Bist du demnach die böse Hexe des Westens?« Libby lachte
bei dem Gedanken, diese maskuline Person mit grüner Gesichts-
farbe zu sehen.
Mit gerunzelter Stirn sagte er: »Scusi?«
»Wie in : Der Zauberer von Oz9 im Film sagt die Hexe: : Ich
kriege dich, meine Schöne, und deinen kleinen Hund auch!9 «
Alles, was sie sagte, schien dieser Mann lustig zu finden. Er
lachte laut. »Ich kann nicht behaupten, diesen Film jemals gesehen
zu haben.« Er berührte kurz ihr Gesicht und fuhr fort: »Du bringst
mich zum Lachen. Vielleicht sollte ich dich Mia Risata nennen? Ich
würde dich aber lieber bei deinem Namen nennen.«
»Libby das ist die Abkürzung für Elizabeth.« Als ob er dafür
eine Erklärung brauchte & Warum war sie so nervös?
»Elisabetta.« Er hatte Fältchen um die Augenwinkel, als würde
er immer noch über sie lachen. »Siehst du, alles hört sich auf Itali-
enisch besser an, Betta.«
»Oh.« Er hatte recht; ihr Name war auf Italienisch viel hüb-
scher. »Äh, wie heißt du?«
»Gio. Das ist die Abkürzung für Giovanni.« Er zog sie auf!
Libby lachte und die Anspannung war verflogen.
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Es war sehr spät, als Gio und Libby sich ein Taxi teilten und er
sie vor ihrem Haus aussteigen ließ. Sie waren so ineinander vertieft
gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatten, wie spät es geworden
war. Gio war kein Student. Er war tatsächlich ein Lehrer an der
Kochschule jedoch nicht für Konditoren, worüber Libby froh war,
denn das hätte peinlich werden können. Er war dreißig Jahre alt.
Der Altersunterschied beunruhigte sie in keinster Weise. Außer Un-
terricht im Kochen zu geben, war Gio ebenfalls der Besitzer eines
Bistros. Dadurch kamen sie auf das Bäckerei-Café ihrer Mutter zu
sprechen und Libbys eigene Absichten.
Sie redeten über ihr Programm an der Universität und er war
beeindruckt, dass sie zwei verschiedene Studiengänge bewältigen
konnte. Sie sprachen auch darüber, welche Sehenswürdigkeiten sie
in Rom bereits besucht hatte. Er lachte wieder, als sie bedauerte,
dass sie noch keine Rollertour gemacht hatte.
»Wie Audrey Hepburn!«, bemerkte er.
»Ich bin mir nicht sicher & ist sie Roller gefahren?«
Mehr Gelächter folgte. Gio lachte viel. Libby war sich noch
nicht sicher, ob sie beleidigt sein sollte oder nicht.
»In : Ein Herz und eine Krone9 & der Film ist sehr bekannt. Du
musst ihn dir ansehen.«
So verbrachten sie den Abend: Sie lernten einander kennen.
Libby erlaubte sich nur einen ganz kurzen Vergleich und stellte fest,
dass ihr diese Erfahrung mit Tony fehlte. Denn die beiden würden
nie das Bedürfnis haben, die ganze Nacht wach zu bleiben, um das
Leben und den Charakter des anderen zu entdecken. Als das Taxi
vor ihrem Haus anhielt, winkte Gio leger ab, als sie versuchte zu
zahlen, und wies den Taxifahrer an zu warten, bis sie im Gebäude
war.
Am nächsten Tag schlief Libby aus; schließlich war sie erst
kurz vor Sonnenaufgang ins Bett gegangen. Kurz vor Mittag klin-
gelte es an Libbys Tür. »Betta, kann ich hochkommen?« Gios volle
Stimme tönte durch die Sprechanlage.
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Libby ließ ihren Blick kurz durch das kleine Zimmer schweifen
und bemerkte die Unordnung. Ein Haufen mit Kleidungsstücken,
die sie während ihrer Vorbereitungen am Vorabend verworfen
hatte, lag noch auf dem Boden vor ihrem Schrank. Ihr Bett war
nicht gemacht, denn sie war ja gerade erst aufgestanden. Das wird
keinen guten Eindruck auf Gio machen, schimpfte sie mit sich
selbst.
»Ich komme runter«, antwortete sie. Libby zog sich in Windes-
eile frische Kleidung an und nahm ihr Haar zu einem Pfer-
deschwanz zusammen. Da sie keine Zeit für Make-up hatte,
entschied sie sich für Lipgloss, den sie im Fahrstuhl auftrug.
Draußen stand Gio gegen einen Roller gelehnt, der am Straßenrand
geparkt war.
»Dein Gefährt.« Gio trat auf sie zu und zeigte nach hinten auf
die Vespa.
»Du hast einen Roller!«
»Er ist eigentlich gemietet, aber das Resultat ist das gleiche.
Fahr eine Runde mit mir.«
Das tat sie dann auch. Sie fuhren zu allen bedeutenden Se-
henswürdigkeiten. Die meisten davon hatte sie bereits gesehen,
aber mit Gio nahm sie alles ganz anders wahr. Ihre Tour endete am
Trevi-Brunnen. Gio brachte Libby nahe an die berühmte Se-
henswürdigkeit heran, denn er hatte aufgrund seiner Größe keine
Probleme, sich durch die Touristenmenge hindurchzuschieben.
»Angeblich kommt man auf jeden Fall eines Tages nach Rom
zurück, wenn man eine Münze in den Brunnen wirft.«
Gio griff in seine Tasche und bot ihr eine Handvoll Münzen an.
Libby kannte die Legende und hatte in der Tat einen Euro in den
Brunnen geworfen, als sie während ihrer ersten Woche in Italien
hier gewesen war. Sie wollte aber den Zauber des Nachmittags
nicht mit ihrem Geständnis zerstören, deshalb nahm sie eine Mün-
ze aus Gios Hand, warf sie hoch in die Luft und sah zu, wie sie im
Wasser verschwand. Ohne seinen Blick von Libbys Gesicht
abzuwenden, streckte Gio seinen Arm aus und drehte das
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Handgelenk. Die übrigen Münzen fielen in den Brunnen. »Damit
du ganz oft zurückkommst, Mia Betta«, sagte er, als sie fragend ihre
Augenbrauen hochzog.
Liebe Mel,
Ich habe jemanden getroffen! Er heißt Gio und er ist
unglaublich. Letzte Woche hat er mich zu einer
Rollertour eingeladen und vor einigen Tagen hat er
mir Abendessen gekocht. Nächstes Wochenende
möchte er mir die Amalfi-Küste zeigen und hat ein
Picknick am Strand von Positano geplant.
Alles Liebe, Libby
P.S.: Du wärst mit seinem Akzent einverstanden.
Liebe Libby,
Einzelheiten!
Alles Liebe, Mel
Ich hoffe, alles ist in Ordnung du hast eine ganze
Weile lang nicht geschrieben. Du bist wahrscheinlich
sehr beschäftigt. Ich muss zugeben, dass die Zeit
schneller vergangen ist, als ich gedacht habe. Ich
freu mich schon sehr, dich diesen Sommer zu sehen.
-t-
Tut mir leid. Ich hatte viel zu tun. Ich werde diesen
Sommer doch nicht nach Hause kommen. Die Koch-
schule hat mich in ein Diplomprogramm aufgenom-
men. Ich werde diesen Herbst meinen Abschluss an
der American University of Rome machen und dann
nehme ich Vollzeit an einem achtzehnwöchigen Kurs
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an der Kochschule teil. Ich konnte kaum glauben,
dass meine Mutter zugestimmt hat, aber es ist eine
unglaubliche Gelegenheit.
Ich freue mich schon auf das erste Raines-Buch. Ich
werde allen meinen Freuden sagen, sie sollen das
Buch vorbestellen. Dein Buch wird in Europa
bestimmt schneller veröffentlicht, als du denkst!
-l-
Das ist super, Lib. Ich freue mich für dich.
-t-
Liebe Libby,
wir heiraten! Ich habe so getan, als wäre ich überras- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]