Sie stand auf, nahm den Arm ihres Gatten, der sie auf
dem Gange erwartete, und kehrte strahlend in ihre Loge
zurück. Dann verließ sie die Oper, bestellte ihren Wagen
für den nächsten Morgen vor 8 Uhr und war um ½ 9 Uhr
am Quai Conti, nachdem sie in der Rue du Mail vorge-
sprochen hatte.
Die kleine Rue de Nevers war so schmal, daß der Wagen
nicht hineinkonnte. Aber Schmuke wohnte in einem
Eckhaus des Quais, und so brauchte die Gräfin nicht
durch den Straßenschmutz zu gehen. Sie gelangte vom
Trittbrett ihres Wagens fast unmittelbar in den schmutzi-
gen, baufälligen Eingang des alten geschwärzten Hauses,
das durch Eisenklammern zusammengehalten war, wie
das Steingutgeschirr eines Portiers, und derart überhing,
daß es die Passanten bedrohte. Der alte Kapellmeister
wohnte im vierten Stock und hatte einen schönen Aus-
blick auf die Seine, vom Pont Neuf bis zu der Anhöhe
von Chaillot. Der gute Mensch war so überrascht, als der
Lakai ihm den Besuch seiner alten Schülerin meldete,
daß er sie in seiner Bestürzung hereinkommen ließ. Nie
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hätte die Gräfin dies Dasein geahnt, das sich ihren Bli-
cken darbot, oder es sich auch nur vorgestellt, obwohl sie
seit lange Schmukes tiefe Verachtung für die Kleidung
und seine geringe Anteilnahme an den Dingen der Welt
kannte. Wer hätte dies In-den-Tag-hineinleben, diese
völlige Sorglosigkeit für möglich gehalten? Schmuke war
ein Diogenes der Musik, er schämte sich seiner Unord-
nung nicht. Er hätte sie sogar geleugnet, so sehr war er
daran gewöhnt. Durch das fortwährende Rauchen aus
einer mächtigen deutschen Pfeife hatten die Zimmerde-
cke und die elenden Tapeten, die an tausend Stellen von
einer Katze zerschrammt waren, eine gelbliche Färbung
erhalten, die allen Gegenständen das Aussehen reifender
Kornfelder gab. Die Katze in ihrem prächtigen Seiden-
pelz, der den Neid einer Portierfrau erregt hätte, vertrat
die Stelle der Hausfrau. Bärtig und ernst saß sie unbe-
sorgt da und thronte meisterlich auf dem guten Wiener
Klavier. Sie warf der Gräfin beim Eintreten jenen honig-
süßen kalten Blick zu, mit dem jede, über ihre Schönheit
erstaunte Frau sie begrüßt hätte. Sie rührte sich nicht,
bewegte nur die Silberfäden ihres abstehenden Bartes
und blickte dann Schmuke mit ihren Goldaugen an. Das
Klavier war von gutem, schwarz und golden bemalten
Holze, aber altersschwach und schmutzig. Die Farbe war
verblichen und abgeplatzt, die Tasten abgenutzt wie alte
Roßzähne und durch die Rußwolken der Pfeife vergilbt.
Kleine Aschenhaufen auf dem Deckel verrieten, daß
Schmuke Tags zuvor auf dem alten Instrument zu ir-
gendeinem musikalischen Hexensabbat geritten war. Der
Fußboden war bedeckt mit trocknem Schmutz, Papierfet-
zen, Pfeifenasche, undefinierbaren Überresten, wie der
Fußboden eines Pensionats, wenn acht Tage nicht ausge-
kehrt ist, und die Dienste boten einen Haufen von Dingen
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zusammenfegen, die zwischen Müllhaufen und Lumpen
schwanken. Ein geübteres Auge als das der Gräfin hätte
darin Spuren von Schmukes Leben entdeckt: Kastanien
und Kartoffelschalen, Eierschalen in Scherben von Tel-
lern, die aus Unachtsamkeit zerbrochen und mit Sauer-
kraut beschmutzt waren. Dieser deutsche Müll bildete
einen Teppich staubiger Abfälle, die unter den Schritten
knirschten, und vermischte sich mit einem Aschenhau-
fen, der majestätisch aus einem bemalten Steinkamin
herabfiel. In diesem thronte ein großes Stück Kohle, vor
dem zwei Holzscheite zu schwelen schienen. Über dem
Kamin befand sich ein Wandspiegel, in dem die Gestal-
ten eine Sarabande tanzten; links hing die berühmte Pfei-
fe, rechts ein chinesischer Topf, in dem der Professor
seinen Tabak aufhob. Zwei Lehnstühle, die er irgendwo
aufgekauft hatte, ebenso eine schmale flache Bettstelle,
eine wurmstichige Kommode ohne Marmorplatte und ein
lahmer Tisch, auf dem die Überreste eines frugalen Früh-
stücks standen, vervollständigten diese Einrichtung, die
so einfach war wie die eines Wigwams der Mohikaner.
Ein Rasierspiegel hing am Drehriegel des gardinenlosen
Fensters und darüber ein durch das Reinigen des Rasier-
messers streifiger Lappen die einzigen Opfer, die
Schmuke der Welt und den Grazien brachte.
Die Katze, ein schwaches, schutzbedürftiges Wesen, hat-
te es am besten. Sie erfreute sich eines alten Sofakissens,
neben dem eine Tasse und ein weißer Porzellanteller
standen. Keine Feder aber vermag zu beschreiben, in
welchen Zustand Schmuke, die Katze und die Pfeife,
diese lebendige Dreieinigkeit, den Hausrat versetzt hat-
ten. Die Pfeife hatte Löcher in den Tisch gebrannt. Die
Katze und Schmukes Kopf hatten den grünen Utrechter
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Samt der beiden Lehnstühle derart fettig gemacht, daß er
seine Rauheit verloren hatte. Ohne den prächtigen Kat-
zenschwanz, der zum Haushalt gehörte, wären die freien
Stellen auf dem Klavier und der Kommode nie abge-
staubt worden. In einer Ecke standen die Schuhe, die
einer epischen Darstellung bedürften. Auf der Kommode
und dem Klavier lagen Haufen von Notenbüchern mit
abgeschabten, zerrissenen Rücken und ausgebleichten,
abgestoßenen Ecken, aus denen die tausend Blätter des
Inhalts hervorsahen. An den Wänden waren die Adressen
der Schüler mit Oblaten angeklebt. Zahlreiche Oblaten
ohne Papierzettel verrieten die früheren Adressen. Auf
dem Papier standen Rechnungen in Kreide. Die Kommo-
de schmückten leere Bierkrüge, die tags zuvor ausge-
trunken waren; sie sahen inmitten dieses Gerümpels und
dieses Papierwusts neu und glänzend aus. Die Körper-
pflege war durch einen Wasserkrug vertreten, der von
einem Handtuch gekrönt war, und durch ein Stück wei-
ßer, blau gesprenkelter Küchenseife, die das Holz an
mehreren Stellen rosig färbte. Zwei Hüte, einer so alt wie [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]