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Zunge raus. »Es ist unhöflich, sich nicht um
seinen Besuch zu kümmern.«
Hakim warf ihr einen wütenden Blick zu. Die
alte Dame versuchte die Geschwister zu ber-
uhigen und legte ihren Arm um Mounas
Schultern. »Meine geliebte Enkeltochter, ich
denke, Hannah würde sich als Zeichen un-
serer Gastfreundschaft über ein Glas Tee
freuen.«
»Na gut«, murmelte Mouna und sprang
enttäuscht auf. »Ich merke, wenn ich uner-
wünscht bin.« Mit diesen Worten hob sie
ihre Abayah auf und zog sich das boden-
lange, dunkelblaue Gewand über den Kopf.
Etwas irritiert sah Hannah ihr dabei zu und
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verschluckte sich fast, als darunter eine en-
ganliegende aprikosenfarbene Bluse und
eine noch engere verwaschene Jeans zum
Vorschein kamen.
Ihr Blick glitt zwischen der alten Frau und
Mouna hin und her, was dem etwa gleichal-
trigen Mädchen nicht entging. »Umma ist
fast blind«, flüsterte sie ihr verschwörerisch
ins Ohr. Kichernd richtete sie sich zu ihrer
vollen Größe von geschätzten 1.54 m auf, den
strafenden Blick ihres Bruders ungerührt
ignorierend.
»Was? Ich mache unseren Gast nur mit den
Traditionen unserer Familie bekannt.« Völ-
lig unbeeindruckt von seinem Schnauben
wandte sie sich wieder zu Hannah.
»Unsere Familie und auch Großmutter  wir
sehen das alles nicht so verbissen, das wirst
du bald feststellen. Die schwarzen, grauen
oder dunkelbraunen, körperlange Jilbabs
und Abayahs tragen wir nur in der Öffent-
lichkeit. Diese Kleider sollen die
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Körperlinien der Frau und damit alle weib-
lichen Attribute ihrer Figur verstecken. Aber
in Wirklichkeit sind diese Gewänder eine
von den Männern idealisierte und befohlene
Kleidervorschrift, um sie selbst vor ihren
lüsternen Wünschen und Ausschreitungen
zu schützen.«
»Mouna«, schnitt Hakim ihr liebenswürdig
das Wort ab, »schieb deinen reizenden Hin-
tern in die Küche. Wenn der Tee fertig ist,
wird Umma auch bereit sein. Und dann
kannst du Hannah meinetwegen deine gan-
zen feministischen Ideen erzählen, sofern sie
denn interessiert ist. Aber jetzt verzieh
dich.«
Völlig unbeeindruckt von der Rüge zuckte
Mouna mit den Schultern und zwinkerte
Hannah verschwörerisch zu.
»Hakim, denk daran, dass du mir ver-
sprochen hast, mich morgen zu Riahs Hen-
natag zu begleiten. Und bring Hannah mit!
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Ich bin sicher, dass es ihr gefallen wird. Also
dann, bis gleich.«
Nachdem sich die Küchentür hinter ihr
schloss, durchdrang die melodiöse Stimme
der alten Dame die Stille. »Hannah, setz dich
bitte neben mich«, bat sie.
Kurz darauf fühlte Hannah Azals warme
Hände, die sanft den Konturen ihres
Gesichtes folgten und ihr Haar berührten.
»Du bist ein außergewöhnlich schönes Mäd-
chen«, murmelte sie. Dann griff sie nach
Hannas rechter Hand und drehte die Hand-
fläche nach oben. Tastend strich sie mit
ihren Fingern über die Linien in der Hand-
mitte. »Unter welchem Stern bist du ge-
boren, meine Tochter?«, fragte sie leise. Auf
Hannas erstaunten Blick antwortete Hakim
an ihrer Stelle.
»Hannah ist Jüdin, Umma. Sie glauben nicht
wie wir an die Sterne.«
»Ja, das dachte ich mir fast. Ihr Haar ist so
viel weicher als unseres. Gut, dann müssen
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wir es so versuchen, aber einfach wird es
nicht«, murmelte sie. Danach versank sie in
Schweigen. Nur ihre Finger glitten immer
wieder tastend über ihre Handfläche. Geban-
nt ließ Hannah alles mit sich geschehen,
wenn auch mit einem großen Fragezeichen
im Gesicht. Nach Minuten, die ihr wie eine
Ewigkeit vorkamen, durchbrach Azal die
Stille. »In deiner Brust schlägt ein Herz, das
müde ist und dir das Leben schwer macht.
Es will schlafen, weißt du das?«
Beklommen nickte Hannah. »Ich stehe auf
einer Spenderliste, aber es ist nicht so
einfach.««
Beruhigend legte die Dame eine Hand auf ihr
Herz. »Meine Tochter, jedes Schicksal ist
von Gott vorbestimmt. Wenn die Sterne dich
geschickt haben, wird die Erde dich nicht so
schnell gehen lassen.«
Nichts verstehend blickte Hannah in die
trüben Augen, bis Hakims ernste Stimme
erklang. »Umma«, bat er weich. »Bitte
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überspringe den Teil der Geschichte und
komm zum Punkt.«
»Inschallah, dann soll es so sein«, erwiderte
sie leise und sah ihn an. »Hannas
Lebenslinie ist stark. Sie wird ein langes
Leben haben, denn das ist Gottes Wille. Und
jetzt hole mir die anderen Zutaten, um den
Zeitpunkt zu bestimmen«, bat sie.
Hakim stand auf, stellte eine filigrane Mess-
ingschüssel mit Wasser auf den Tisch und
goss aus einer Karaffe drei Tropfen einer lav-
endelfarbenen Flüssigkeit dazu. Danach
öffnete er ein Jutesäckchen und ließ geheim-
nisvoll aussehende dunkelglänzende Steine
in das jetzt dampfende, undurchsichtige
Wasser gleiten. Hakim erklärte mit ruhiger
Stimme: »Das sind Wüstenrosen. Harzartige
Steine, die der Wüstensand geschliffen hat.
Sie heißen Rosen, weil alle Steine wie eine
Blütenknospe geformt sind. Jeder Stein hat
unterschiedlich viele Blätter.«
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Azal nahm Hannahs Hand und hielt sie über
die sprudelnde Messingschüssel.
»Hab keine Angst. Lass deine Hand hinein-
tauchen und such dir einen Stein aus. Den-
jenigen, der dir am vertrautesten vorkommt,
holst du raus und gibst ihn mir.«
Verwirrt sah Hannah zu Hakim und be-
merkte seine Anspannung. Seine Hand
streichelte zärtlich ihren Arm.
»Vertraust du mir noch?«, flüsterte er
lautlos. Eigentlich war sie sich in diesen
Minuten dessen nicht mehr ganz so sicher.
Die Situation überforderte sie, aber als sie
seine bittenden Augen auf sich fühlte,
schmolz ihr Wiederstand und ihre Hand glitt
in das sprudelnde, blickdichte Wasser. Lang-
sam tastete sie über den Grund; dann griff
sie spontan nach dem Stein, der sich am be-
sten in ihrer Handfläche anfühlte. Sie ließ
ihn in Azals ausgebreitete Hand gleiten, die
sich sofort schloss.
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Erwartungsvoll wartete Hannah auf eine
Erklärung dieser mehr als ungewöhnlichen
Situation. Auch Hakim starrte seine
Großmutter voller Spannung an. »Umma,
bitte, wie viel Zeit bleibt uns noch?« Azal
hob den Kopf. »Wann seid ihr euch das erste
Mal begegnet?«
»Vor zwei Tagen«, erwiderte Hannah
hilfsbereit.
»Dann zählt die Zeit seit diesem Tag«, sagte
die alte Dame mit tonloser Stimme. Langsam
legte sie die dunkelbraune Wüstenrose in die
Mitte des Tisches und Hakim stieß die Luft
aus. Seine Großmutter musste nichts mehr
sagen; die Blätter der Rose ragten anmutig in
die Luft. Chamsa  fünf steinerne Blätter.
»Ilyas hatte recht«, flüsterte Azal mit
gebrochener Stimme. »Seine Prophezeiung
ist unwiderruflich und das Schicksal
besiegelt.«
Erschrocken bemerkte Hannah, wie Hakim
zu erstarren schien. Doch dann ging ein
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Ruck durch seinen Körper und ein Lächeln
erhellte seine angespannten Züge.
»Mach dir keine Sorgen, Habibti. Meine
Großmutter hat dir ein langes Leben voraus-
gesagt. Es besteht also kein Grund zur
Beunruhigung.«
In diesem Moment flog mit einem Knall die
Küchentür auf und Mouna erschien mit
einem Tablett.
»Der Tee ist fertig«, verkündete sie fröhlich.
Yaum al-Hinna
Der nächste Vormittag verging wunder-
samerweise wie im Flug. In der Literaturs-
tunde ließ sie Joshua großzügig von sich abs-
chreiben und im Kochunterricht brachte sie
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mit Talya und Judith zusammen einen halb-
wegs gut geraten Topfkuchen zustande; das
leicht angebrannte Äußere kaschierten sie
unauffällig mit Unmengen Puderzucker.
Dabei musste sie immer wieder an das
betörende arabische Wort denken, das
Hakim ihr gestern zugeflüsterte hatte. Noch
in der Nacht hatte sie, in ihre Bettdecke
gekuschelt in ihrem blauen Wörterbuch
nachgeschlagen. Dort stand: Habibti = Kurz-
form von Habibati = mein Liebling [ Pobierz całość w formacie PDF ]
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